Frohes Neues Jahr: Atmen Sie einfach weiter

Merkel

Das gerade zu Ende gegangene Jahr ist eindrucksvoll geprägt vom bis dahin unvorstellbaren Abhörwahn der Geheimdienste, enthüllt vom Whistleblower Edward Snowden. Wir haben erfahren, dass es kaum digitale Kommunikation in unserem Leben gibt, die nicht an irgendeiner Stelle des Glasfaserkabels abgesaugt wird.  Über die Politik haben wir gelernt, dass sie weder das Interesse noch die Kompetenz hat, diese millionenfachen Eingriffe in unsere persönliche Freiheit und Privatheit aufzuklären. Diplomatische Beziehungen und Partizipation an amerikanischen Spionageaktionen scheinen der Regierung wichtiger, als die Verteidigung unserer Rechte. Und viel schlimmer noch, die Abhöraktionen laufen weiter wie bisher, selbst der bewiesene Angriff auf das Handy unserer Bundeskanzlerin war kein Grund für eine Beendigung oder Aufklärung zu sorgen. 

 

Gute Vorsätze: Frische Luft

Ganz besonders war ich daher auf die Neujahrsansprache unserer Bundeskanzlerin gespannt. Wie wird sie das vergangene Jahr wohl Revue passieren lassen,  was wird sie zum größten Überwachungsskandal aller Zeiten sagen und was sieht sie als wichtige Aufgaben und Visionen für 2014?

Um es vorwegzunehmen – die Antwort ist sehr ernüchternd und die Aussagen der Bundeskanzlerin in diesem einem Satz leicht zusammengefasst: „Atmen Sie einfach weiter“  

Kein Scherz –  Angela Merkel zieht sich, wenn es brenzlig wird, einfach  auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurück.  Denn ihr Vorsatz für das Neue Jahr lautet – man höre und staune –  „Mehr an die frische Luft zu kommen“.  Man könnte auch sagen, sie atmet alle Probleme und Kritik einfach weg. Ihre Vorsätze für das Neue Jahr sind nicht etwa,  sich für die Demokratie und Menschenrechte stark zu machen, sich für Gerechtigkeit oder  Freiheit einzusetzen oder die Große Koalition zu wuppen. Nein –  ganz profan: Atmen

„Doch dann kommt das Neue Jahr und schnell hat der Alltag uns wieder“.  Ja – und dann vergessen wir wieder an die frische Luft zu gehen, grauenvoll. Was kann das Leben schlimmeres für uns  Menschen bereithalten?

Mit dieser Ansprache hat der Nullsprech*  von Angela Merkel ganz neue Dimensionen angenommen, denn wie könnte man jemanden kritisieren, der einfach nur in Ruhe frische Luft atmen möchte.

Fast erscheint es wie eine Zeitreise in unser aller Kindheit. In eine Zeit, als ein weiteres Grundbedürfnis – nämlich das Essen – im Mittelpunkt unseres Lebens stand. Das Essen war stets das erste und auch das letzte Argument für eigentlich ALLES. Der mütterliche Rat bei großen Krisen „Jetzt wird erst einmal gegessen und dann sieht die Welt schon wieder viel besser aus“  war genauso wenig auszuhebeln wie der geforderte Blick auf die vielen hungernden Kinder in der Welt, wenn es dann doch einmal am eigenen Appetit haperte.

 

Oft jagt ein Ereignis das andere

„In unserem Leben ist viel geschehen, Schönes wie Enttäuschendes“ . Bei diesen Worten ahnt man, dass wir jetzt am einfachsten alle an unsere angebrannten Kekse aus der Adventszeit denken sollen. Und das einzige, was uns aufgrund  dieser Enttäuschung den  Gang zum Psychologen erspart hat, war wohl das einträchtige Knabbern der angekokelten Kekse  mit unseren Lieben!    

Warum sollten wir uns auch um die großen Dinge kümmern, wenn das Kleine liegt so nah. Während das Internet für unsere Bundeskanzlerin noch Neuland ist und sich die digitale Kompetenz unserer übrigen Politiker daran misst, ob sie einen Twitter Account besitzen, hat sich unsere digitale Parallelgesellschaft schon längst verselbstständigt und die NSA arbeitet gerade unbeeindruckt weiter an ihrem Super-Computer.

 

Immer wieder gibt es Chancen zu neuen Anfängen

Ja, diese Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und ist ja irgendwie auch romantisch. Und Ronald Pofalla hat gerade wieder gezeigt, was dies für Politiker bedeutet.  Vermutlich war dieser Satz schon an den ehemaligen Kanzleramtsminister und zukünftigen Bahnvorstand gerichtet. Verschlüsselungstechnik im analogen Sinne, quasi.

Mir wäre allerdings wohler, wir würden anfangen uns um die digitalen und  gesellschaftlichen Herausforderung  zu kümmern, solange wir diese noch gestalten können. Wenn wir erst einmal gelangweilt vor unserem Haus stehen und frische Luft atmen – mit der Google Brille auf der Nase – und uns dabei eine Drohne auf den Kopf fällt, Roboter uns abfällig anschauen, weil diese freudig unsere Jobs erledigen, Blogger den Qualitätsjournalismus vertrieben haben und wir wahr von unwahr sowieso nicht mehr unterscheiden können, dann dürfen wir uns beruhigt aufs Sofa legen und ein spannendes Buch lesen, welches aber vermutlich über eine Länge von 140 Zeichen nicht hinausgehen wird, da unsere Aufmerksamkeit und Konzentrationsphase länger nicht mehr anhält.

Deshalb, liebe Bundeskanzlerin, appelliere  ich an Ihre Leistungsbereitschaft, Ihr Engagement und den  Zusammenhalt mit Ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern!  Dann können wir auch in Zukunft gemeinsam Essen und Atmen. 

Happy New Year!

* Den gelungenen Ausdruck Nullsprech habe ich  von der Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz übernommen, den sie im Interview bei „Jung & Naiv“ verwendet hat.  

 Dieser Beitrag ist auch erschienen auf Huffington Post

Hinterlasse einen Kommentar