Der Erste Weltkrieg und die Sehnsucht nach der Unschuld

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Seit dem Bestseller von Christopher Clark „Die Schlafwandler“ können wir Deutschen den 100. Jahrestag zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs recht locker begehen. Wenn man angesichts der über 17 Millionen Opfer das Wort „locker“ überhaupt verwenden darf.

Aber in der Tat ist es so, dass der Historiker Christopher Clark, in seiner fast 1000 Seiten starken Studie, die Deutschen von Ihrer bis dato ausgemachten Verantwortung für den Großen Krieg freispricht. Von seinem Buch wurden alleine in Deutschland seit Erscheinen schon mehr als 160.000 Exemplare verkauft und  ist seitdem in den Top Ten aller Bestsellerlisten zu finden. Das zeigt, wie tief  dieses deutsche Kriegs-Trauma lange Zeit wohl schmerzte.  

So ist es auch nicht verwunderlich, dass diese neue Erkenntnis nahezu alle aktuellen Berichterstattungen dominiert. In der TAZ widmet man dem Ersten Weltkrieg ein Dossier auf 12 Sonderseiten und der ehemalige Geschichtsprofessor Gerd Krumeich fragt sich in seinem Beitrag „Die deutsche Sehnsucht, unschuldig zu sein“, warum es zu Clarks Thesen und der Vereinfachung der Schuldfrage, keine öffentliche Debatte gibt. Dem lässt sich nur entgegnen, diese Kontroversen gibt es doch, man muss sie gar nicht erst unter der Lupe suchen und auch nicht im „gruftigen“  Fritz Fischer Lager.

Nur gehen diese natürlich gerade ziemlich unter im „Schlafwandler“ Fieber. Vielleicht liegt es auch daran, dass es Christopher Clark nicht gerade darauf anlegt, seine wissenschaftlichen Befunde kontrovers zu diskutieren. Sein Erfolg spricht für sich – die dahinterstehende Marketingstrategie ist sicherlich auch exakt aufgegangen. Und eine Abkehr von der deutschen Schuldfrage lässt man ja auch gerne unwidersprochen.

 Allerdings gibt es momentan reichlich fundierte Literatur, die sich mit der Juli Krise und dem Krieg 1914 beschäftigt und die Verantwortung in dieser Zeit wirklich differenziert betrachtet. Und Deutschland nicht als kaltblütigen Kriegstreiber sieht, aber dennoch die deutsch-österreichischen Aktionen und Fehleinschätzungen für den Krieg verantwortlich macht.

Wer jenseits der Schuldfrage verstehen will, was damals in Deutschland los war, dem sei das Buch „Juli 1914 – Wie man einen Weltkrieg beginnt und die Saat für einen zweiten legt“ von der Berliner Journalistin Christa Pöppelmann empfohlen. Erschienen im Scheel Verlag.

Im Vergleich zu zahlreicher anderer Fachliteratur ist es spannend, kompakt und fundiert zugleich geschrieben. Durch den journalistischen Stil fühlt man sich als Leser nahezu in die damalige Zeit hinein versetzt.

In einer tageweisen Chronologie vom 28. Juni bis 6. August werden hier die Ereignisse, beginnend mit dem Attentat von Sarajewo,  sehr gut lesbar geschildert und die Stimmung von Presse und Öffentlichkeit wiedergegeben. Parallelen zur heutigen Zeit lassen sich nicht leugnen und es zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, sich unaufgeregt und ehrlich mit dem Thema zu beschäftigen. Und dann wird klar, es geht gar nicht (mehr) um „Schuld“ oder „Nicht Schuld“.  Aber diese Eskalation des Konflikts zu erleben und durch historische Blickwinkel einordnen zu können, zeigt die ganze Tragweite der Verantwortung.  

 

Literatur:

Christa Pöppelmann

Juli 1914 – Ein Lesebuch

Blog zu  Juli 1914

9783980419864

Scheel Verlag, 19,95€

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